Ein Taxifahrer erzählt

Oskar Thann
Rüdiger Conrad

Der jetzt 74-jährige Rüdiger Conrad, wohnhaft am Brockeswalder Weg 33, fuhr vor seinem Bau-Studium Mitte der 60er-Jahre für einige Monate Taxe und hatte dabei auch etliche Kunden vom oder ins Rotlichtviertel zu befördern.

Wegen der zusätzlichen Einnahmen waren die Nachtfahrten besonders attraktiv. So beförderte Rüdiger Conrad nachts oft Lotsen vom Anleger der „Alten Liebe“ nach Hause, oft auch nach Bremerhaven.

Zur damaligen Zeit war es wichtig, dass sich ein Taxifahrer bewaffnete. Man führte eine Gaspistole, einen Schlagring oder einen sogenannten Totschläger, eine aufgedrehte Spiralfeder in drei oder fünf Teilen, mit. Ein Taxifahrer hatte als Waffe einen gegerbten Bullen- Phallus, ein dicker Lederstrang, dabei. Conrad kaufte sich beim damaligen Waffengeschäft Hävecker in der Deichstraße neben dem Gloria-Kino eine 8-mm- Schreckschuss- und Gaspistole und trug diese Waffe während der gesamten Arbeitszeit versteckt unter der Jacke.

Ein guter Standplatz war für ihn immer die Deichstraße vor dem Tanzlokal „Stadt Hamburg“, weil dort immer Betrieb herrschte. So stiegen hier natürlich auch Isländer, die mit ihren Fischdampfern im Cuxhavener Hafen anlandeten, zu.

Rüdiger Conrad berichtete von einem Isländer, den er durch die Stadt fahren musste und der plötzlich einen großkalibrigen Trommel- Revolver aus seiner Jackentasche zog und offensichtlich Geld haben wollte. In dieser Situation zog Conrad auch seine Pistole und richtete sie auf die Augen des angetrunkenen Isländers. Der Angetrunkene war perplex, denn man bedrohte sich jetzt gegenseitig, eine makabere Situation. Plötzlich näherte sich eine andere Taxe. Der Taxifahrer erkannte die Situation, der Isländer fühlte sich in die Defensive gedrängt, ließ die Pistole sinken und rannte weg. Rüdiger Conrad ist sich noch heute sicher, dass der Taxikollege ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hat.

Er berichtete auch von einer Geschichte, die er in der Gaststätte „Elbe 1“ erlebt hatte. Dort sollte er einen Gast abholen. Der Gast saß dort mit einer Frau am Tisch und sagte zu Rüdiger Conrad, dass er sich noch gedulden sollte. Am Tisch kam es dann zwischen dem Pärchen zu sexuellen Handlungen. Danach bezahlte der Mann am Tresen und schob auch noch Geld zu der Frau rüber. Die Fahrt zum Kutter dauerte nicht lange, an das Geschehen in der Kneipe musste er noch lange denken.

Er schwärmte auch von dem Imbissbesitzer Oskar, über den wir in einer Folge schon ausführlich berichteten. Oskar wirkte beruhigend auf die Menschen ein Oskar schätzte er als souveränen Mann, der beruhigend auf Menschen einwirken konnte. Von dort hat er viele Fahrgäste abgeholt.

Natürlich gab es im Rotlichtmilieu Schlägereien. Zu den größten Schlägern gehörte Erwin S., ehemaliger Kampfsportler, der für die Polizei ein rotes Tuch war, denn man hatte mit ihm oft große Probleme. Conrad kannte ihn gut und hatte auch Auseinandersetzungen von Erwin S. mit der Polizei erlebt.

Auch die Gaststätte „Schwäbischer Hof“ in der Neuen Reihe kannte er gut. Es ging in dieser Seemannskneipe manchmal sehr deftig zu. Die resolute Wirtin Alma Bockhoop hatte aber alles im Griff. Das Verhältnis zu den Taxifahrern war gut und oftmals gab es dort auch einen Kaffee.

Rüdiger Conrad stand mit seiner Taxe mal wieder vor der Lokalität „Stadt Hamburg“. Da sah er, wie eine Frau zu dem vor ihm stehenden Taxi läuft, ein Mann hinterher. Beide stiegen ein und der Wagen fuhr los. Plötzlich sprang ein anderer Mann in seine Taxe, schmiss ihm 5 DM hin und forderte ihn ziemlich aufgeregt auf hinterherzufahren. Sein Fahrgast erzählte, dass vorne im Wagen seine Frau, die sich offensichtlich einen Macker geangelt hätte, sitzen würde. Sein Fischdampfer hätte wegen eines Motorschadens wieder umgedreht und er wäre deshalb wieder in Cuxhaven gelandet. Conrad setzte dann den Seemann vor einem Haus in der Nordmoortrift ab. Wie die Sache ausging, konnte er nicht mehr sagen.

Und da ist die Geschichte mit Klein Erna. Ihren Mann, der als Kapitän auf einem Fischdampfer fuhr, hatte sie auf See verloren. Da sie aber weiterhin Kontakte zu Seeleuten halten wollte, hielt sie sich oft im „Stadt Hamburg“ auf. Sie schleppte hin und wieder einen Seemann ab und nur Rüdiger Conrad durfte sie dann nach Hause, nach Döse, fahren. Meistens nach zwei Stunden wollte der Schiffer, oft Isländer, wieder abgeholt werden. Später erfuhr er, dass Klein Erna die Seeleute, die sich in ihrem Haus erst mal duschen mussten, auch beklaut hatte. Das war dann schließlich auch ein Fall für die Polizei.

Es kam auch immer wieder vor, dass Frauen ihre Fahrt mit Sex bezahlen wollten. In einem Fall fuhr er eine Frau zur Lehmkuhle, sie räkelte sich und bot Sex für 2,50 DM an, ein anderes Mal stieg eine Frau in der Deichstraße ein und wollte zum Drangstweg gefahren werden. Vor dem Aussteigen versuchte sie, den Fahrpreis in Höhe von fünf DM auf andere Art abzuarbeiten. In beiden Fällen lehnte Conrad ab. Später erzählte er Kollegen von diesen Vorfällen. Die lachten nur und es erhärtete sich der Eindruck, dass er in dieser Angelegenheit ein Sonderfall war.

Rüdiger Conrad hat seine Erinnerungen in einem 55-seitigen Buch mit dem Titel „Acht Monate auf dem Bock“ aufgeschrieben. Dieses hochinteressante Buch kann bei ihm gekauft werden.

In der nächsten Folge wird über Straftäter, die im Rotlichtviertel wohnten, berichtet.