Langweilig war es nicht

Jörg Petersen, aufgewachsen in der Marienstraße, mit dem „Friseurstuhl aus Chicago“
Pasquale Scutella
Bernd Richter

Jörg Petersen, Inhaber des Friseursalons Vehse in der Deichstraße 26, ist in der Marienstraße 1 aufgewachsen. Schon damals gab es die gegenüberliegende Räucherei Steffens, in der er sich als Kind des Öfteren aufhielt und dort den Hamburger Räucherofen, der von unten befeuert wurde, bestaunte. Spaß hatte er auch, wenn der alte Steffens seinen Kautabak in die Glut des Ofens spuckte, dann zischte es so schön.

Langweilig war es im Viertel bestimmt nicht. An der Ecke Fahrenholzstraße/ Alter Deichweg gab es die Schlachterei Bols. Es war schon spannend mit anzusehen, wie die Schweine geschlachtet und gebrüht wurden. Ein Nachbar versetzte den kleinen Jörg in Angst und Schrecken. Der zog sich nämlich ein Bettlaken über den Kopf und rief : „De Ganter (Gänserich) kommt.“

Beliebt im Viertel war Martha Heins, Mutter des Schusters Peter Heins, die für jeden zu sprechen war. „Oma Heins mochte ich sehr, die gab mir immer 20 Pfennig, wenn ich dort erschien“, sagte Jörg Petersen. Friseur Wübber hatte seit 1927 seinen Friseursalon in der Fahrenholzstraße. Die Friseurstühle waren eine Besonderheit. Mitte der 20er-Jahre in Chicago hergestellt, brachte ein Auswanderungsschiff diese Stühle nach Cuxhaven. Bei Wübber standen sie jahrelang, später wurden sie vom Salon Vehse übernommen. Sie stehen noch immer im Salon von Jörg Petersen in der Deichstraße, eine richtige Sehenswürdigkeit.

In der Marienstraße gab es auch die Lokalität Kittelsen, später Gaststätte „Ei“. Diese Kneipe mochte Jörg besonders. Ist ja auch klar, der Wirt hatte drei Töchter. Über die Grenzen Cuxhavens hinaus bekannt war das Fischgeschäft Richter & Junge am Alten Deichweg. Betrieben in den Jahren 1947 bis 1980 von Heinz und Memmi Richter, konnten die Cuxhavener hier viele qualitativ hochwertige Fischsorten kaufen. Ich kann mich noch gut an die Worte meiner Mutter erinnern: „Den Fisch kaufe ich nur hier, denn bei Richter & Junge gibt es den besten.“

Bernd Richter erinnert sich noch an die Zeit, als seine Eltern das Geschäft führten. Sie wohnten oberhalb des Ladens gegenüber der Gaststätte „Elbe 1“. Bernd und seine Schwester hatten des Öfteren vor der Gaststätte oder sogar auf der Straße heftige Schlägereien zwischen deutschen Seeleuten, aber auch mit Isländern gesehen. Es waren schon aufregende Ereignisse, die abrupt beendet wurden, als die Polizei erschien.

Am Morgen des 24. Dezembers war im Fischgeschäft immer Hochbetrieb. Besonders viele Lotsen kauften den Weihnachtskarpfen, so gingen insgesamt über 1000 kg über den Tresen. Früher befand sich neben der Gaststätte „Elbe 1“ auch die Heuerstelle der Seeleute. Wenn die Seemänner ihre Heuer abholten, gingen sie zunächst zum gegenüberliegenden Fischgeschäft und übergaben Heinz Richter zur Aufbewahrung ihre Lohntüte. Man wollte nicht das gesamte Geld bei einer Tour durch das Rotlichtmilieu mitnehmen und entnahm der Tüte nur einen Teilbetrag. „In der Tüte sind 900 DM, ich nehme mal 100 DM für den Gang durch die Gemeinde heraus, das restliche Geld lasse ich hier“, sagte einmal ein Seemann zu Heinz Richter, der zu den Fahrensleuten ein besonderes Vertrauensverhältnis hatte. „Die haben auch nachts bei uns geklingelt, weil sie mal eben noch 100 oder 200 DM benötigten“, erzählt Bernd Richter.

Seit 41 Jahren betreibt er den Imbiss „Bei Backy“ Auch er gehört zum Milieu: Pasquale Scutella. In Scido/Süditalien geboren, wohnt er seit Jahrzehnten in Cuxhaven und betreibt seit 41 Jahren den Imbiss „Bei Backy“ in der Fahrenholzstraße 3. Auch hier war früher immer viel Betrieb trotz der Konkurrenz von gegenüber: „Oskars Imbiss“. Bei Pasquale Scutella, auch „Backy“ genannt, wurde oft eingebrochen.

Er erzählt die Geschichte von einem Mädchen, das bei ihm Stammgast war und meistens beim Gang zur Toilette aus einem Zimmer neben dem Gastraum Geld entwendete, insgesamt über 1000 DM. Die Tat konnte nur deshalb geklärt werden, weil die Schranktür so präpariert war, dass beim Öffnen der Tür vorne im Tresenraum das Licht ausfiel. Diese ungewöhnliche Geschichte hat „Backy“ nie vergessen.